Mitwirkende

Salim(a) Javaid | Saxophon
Marlies Debacker | Klavier, Clavinet
Florian Zwißler | Synthesizer
Robert Landfermann | Kontrabass
Maria Portugal | Schlagzeug

Marcella Lucatelli | Stimme, Klavier
Jonas Engel | Blasinstrumente, Elektronik
Ole Mofjell | Schlagzeug

Programm

Jonas Engel
Afgrunden (2024–25)
Musik zum gleichnamigen Stummfilm von Urban Gad (1910, Dänemark)

Marlies Debacker
Ballet Mécanique (2024–25)
Musik zum gleichnamigen Stummfilm von Fernand Léger und Dudley Murphy (1925, Frankreich)


Keine Pause | Ende gegen 19:00


Initiative Kölner Jazz Haus e.V. in Kooperation mit ACHT BRÜCKEN

Jonas Engels ältere Arbeit »What the Wildflowers Witnessed« weckt Erinnerungen an den Song »Moaner« von Underworld aus dem Batman-Soundtrack von 1997 und treibt die Zuhörenden vor sich her. Ganz ähnlich nutzt auch die heutige Besetzung die Juxtaposition von Instrumenten und Stimme – jedoch gleichberechtigter. Musikalische Räume reichen hier von sehr intim bis dramatisch. Es ermöglicht viel Platz für Interpretationen – passend zu Urban Gads »Abgrund«. Der Stummfilm von 1910 stellt auch große, freiheitliche Räume kleinen, sehr reglementierten gegenüber. Der Protagonistin, einer Hauslehrerin, wird von einem Pastorensohn im Dänemark der Entstehungszeit des Films der Hof gemacht, als bei einem Sommerbesuch im Ferienhaus der Eltern der Zirkus in der Stadt ist. Die Handlung eröffnet Abgründe zwischen Freiheit, Abhängigkeit, Einsperren und Gefühl. Ob diese letztendlich überwunden werden, bleibt im Auge der Betrachtenden. Engels Kompositionen nutzen Abgründe und geben Zuhörenden gleichermaßen die Möglichkeit, Halt zu finden oder sich noch mehr zu verlieren.

Und »Ballet mécanique«? Bei dem 15 Jahre jüngeren, französischen Stummfilm handelt es sich um den ersten Dada-Film! Post-kubistisch und auf jegliche Handlung verzichtend, sehen wir allerlei alltägliche Gegenstände wie Töpfe oder Geschirr, dabei jedoch so abstrahiert, dass sie uns nicht mehr vertraut scheinen, sondern vielmehr als ihre Form wirken. Ein rhythmisches Spiel der Objekte, zu dem Marlies Debacker eine nicht-plakative Untermalung geschaffen hat, bei sich komponierte, zufällige und improvisierte Klangaktionen überlagern und einladen, eigene Zusammenhänge in einem mannigfaltigen Gewebe an Ton-Bild- und Ton-Ton-Beziehungen zu entdecken. Ein Werk irgendwo zwischen musique concrète, musique concrète instrumentale, Drones und pulsierenden Texturen.


Extreme Kontraste, scharfe Schatten – das Gestalten mit Licht war die visuelle Sprache des Stummfilms. Eine Sprache, die ohne Ton und Farbe auskommen musste, und der es dennoch oder gerade deshalb gelang, die Geschichten zu visualisieren und ihnen eine emotionale Intensität und Tiefe zu geben. Bis heute prägt und beeinflusst diese Ästhetik viele Filme, insbesondere der deutsche expressionistische Stummfilm der 1920er Jahre nahm bei der dramatischen Nutzung von Licht und Schatten eine zentrale Rolle ein. Durch das geschickte Setzen von Licht und das Führen von Schatten lässt sich die Realität verzerren und das Publikum in eine psychologisch intensive Welt führen, die die Ängste oder inneren Konflikte der Figuren sichtbar machen. Schatten können sogar eine eigene erzählerische Funktion übernehmen und Einblicke in das Innere der Figuren geben und das Publikum in die Handlung hineinziehen. Beim Publikum verstärken Schatten, die bis ins Überdimensionale wachsen, die emotionale Unruhe. So wird Licht zu einem unsichtbaren Erzähler, der tiefer in die Psyche eindringt und das Publikum in die oftmals dunklen Abgründe einer Handlung zieht.